Pressemeldungen zur Wasserentnahme im südlichen Vogelsberg

Wüste und Oase

 

Hessisches Ried im Wechsel

In der Geschichte des hessischen Rieds hat der Wechsel zwischen Trocken- und Nassperioden Tradition. Das Gebiet war bis zur Regulierung des Rheins regelmäßig überschwemmt. Dafür sorgte nicht nur der Rhein selbst, sondern auch mancher Bach aus dem Odenwald, der im Ried ausuferte. In den 30er Jahren rang der Reichsarbeitsdienst der Natur Flächen für Landwirtschaft und Siedlungen ab. Mit dem "Generalkulturplan Hessisches Ried" begannen gezielte Entwässerungsmaßnahmen, die zur Senkung des Grundwasserspiegels führten.

Die fortschreitende Versiegelung der Flächen in den folgenden Jahrzehnten und der Bau von Wasserwerken taten ein Übriges, um das ehemalige Feuchtgebiet auszutrocknen. Als Folge der steigenden Grundwasserförderung und niederschlagsarmer Monate erlebte das Ried in den 70er Jahren eine harte Trockenperiode, die das ehemals feuchte Gebiet fast zur Steppe werden ließ. Nach Angaben des Hessischen Landesamts für Umwelt und Geologie sank der Grundwasser stellenweise um bis zu fünf Meter ab. Die extrem hohe Zuwanderung in den Ballungsraum Rhein-Main sorgte dafür, dass das Ried über Jahre Grundwasser nach Frankfurt und Umgebung pumpte. Bis heute bezieht die Stadt Frankfurt ein Drittel ihres Frischwassers aus dem Ried; allerdings sinken die Fördermengen von Jahr zu Jahr.

In den 70er Jahren begann auch eine Entwicklung, die Natur und Menschen im Ried bis in die 90er Jahre gleichermaßen schädigte: Durch den sinkenden Grundwasserpegel wurden Wälder trockengelegt. Der Wechsel von Nass- und Trockenperioden führte an zahlreichen Gebäuden zu Setzrissen.

Den Schaden für die Waldgebiete beziffert das Regierungspräsidium (RP) Darmstadt auf 20 Millionen Mark. Mehr als zehn Millionen Mark wurden aus dem gemeinsamen Fonds der Wasserwerke und des Landes als Entschädigung für Bewohner in 27 Ried-Kommunen gezahlt, deren Häuser sich bei der Trockenheit verzogen hatten.

Heute führt das genaue Gegenteil zu Klagen beim RP: Seit dem Frühjahr sind zahlreiche Keller überschwemmt, und die betroffenen Bürger verlangen einen Ausgleich für den Schaden. Die jetzige Nassperiode ist für das Ried kein Novum: Auch Anfang der 80er Jahre bekamen die Bürger bei steigendem Wasserstand nasse Füße. Damals entstanden die ersten Bürgerinitiativen. ki

 

Quelle (16.Juni 2001 Frankfurter Rundschau)

 

Die neue Feuchtigkeit im Ried setzt vielen zu

 

In Südhessen steigt der Grundwasserspiegel: Was Naturschützer freut, lässt in Kellern Pumpen laufen

Von Katja Irle

Der hohe Grundwasserpegel im südhessischen Ried schafft Gewinner und Verlierer: Während sich Tier- und Naturschützer über wiederbelebte Feuchtbiotope freuen, pumpen Häuslebauer seit Wochen das Wasser aus ihren Kellern und fordern Entschädigung. Die Aufbereitungsanlage für Rheinwasser in Biebesheim, die jahrelang zusätzliches Wasser ins trockene Ried pumpte, hat eine Zwangspause eingelegt.

DARMSTADT. Das Naturschutzgebiet ist tot, es lebe das Naturschutzgebiet: Noch vor einigen Jahren galt das Pfungstädter Moor als unheilbar krank. Heute erfreut sich der totgesagte Patient bester Gesundheit. Das knapp 100 Hektar große Feuchtbiotop hat sich in den letzten zwei Jahren zum Dorado für seltene Tier- und Pflanzenarten entwickelt. Das Moor im ehemaligen Alt-Neckar-Flussbett wurde vor allem durch künstliche Bewässerung vor dem Vertrocknen gerettet. Mittlerweile hat jedoch der Anstieg des Grundwasserpegels im hessischen Ried die Hilfe der Rheinwasser-Versickerungsanlage völlig überflüssig gemacht. Der Patient ist vom Tropf genommen.

Was Naturfreunde und Ornithologen zu Begeisterungsstürmen hinreißt, löst bei betroffenen Anwohnern im Ried Entsetzen aus. Seit Wochen pumpen einige hundert Familien in den Landkreisen Groß-Gerau und Bergstraße sowie im Raum Darmstadt das Wasser aus ihren Kellern. Ob im Nauheimer Wohnviertel an der Straße "Im Teich", das seinem Namen zurzeit alle Ehre macht, oder im Pfungstädter Stadtteil Hahn - überall kämpfen die Bürger gegen die Fluten an, die ihre Bausubstanz schädigen.

"Als wir 1980 hier gebaut haben, war von Grundwassergefahr keine Rede", sagt der Pfungstädter Gerhard Lehmann von der Interessengemeinschaft Grundwassergeschädigter. Weder Kommune noch Architekt thematisierten steigende Wasserstände. Kein Wunder, denn damals hatte das Ried ganz andere Sorgen: Trockenperioden und die Ansiedlung von Großwasserwerken, die das kühle Nass nicht nur für die Riedbewohner förderten, sondern auch ins Rhein-Main-Gebiet pumpten, hatten seit den 70er Jahren zu einer Versteppung geführt. Bis in die 90er Jahre war das Ried regelmäßig von Wassernotständen betroffen. Um das Gebiet vor dem Austrocknen zu bewahren, wurde es künstlich bewässert. Ein Grundwasserbewirtschaftungsplan wacht bis heute darüber, dass der Grundwasserpegel nicht weiter abfällt. Während die geschädigten Bürgerinnen und Bürger unter anderem die Infiltration für das Desaster verantwortlich machen, spricht das Landesamt für Umwelt und Geologie von verfehlter Siedlungspolitik. "Viele haben in Trockenzeiten gebaut, das rächt sich jetzt", sagt dessen Leiter Benedikt Toussaint. Die Kommunen hätten es versäumt, ihre Bürger auf mögliche Gefahren hinzuweisen. Die Infiltration sei nicht die Ursache für den steigenden Grundwasserspiegel; vielmehr hätten anhaltende Regenfälle gepaart mit einem sinkenden Wasserverbrauch bei Haushalten und Industrie zu dem Hochstand geführt.

Doch was tun, wenn das Kind bereits in den Brunnen gefallen und es für Vorsorgemaßnahmen zu spät ist? In den Chor der Wassergeschädigten, die neben Entschädigung vor allem eine gesteuerte Grundwasserbewirtschaftung einklagen, hat sich mittlerweile auch die SPD-Landtagsfraktion gemischt, die eine Anfrage an das Umweltministerium gerichtet hat. Wenn man das Absinken des Grundwassers verhindern könne, dann müsse jetzt ein System für den umgekehrten Fall entwickelt werden, fordern die Parlamentarier: "Neue Probleme verlangen neue Lösungen."

Zwar eilte Umweltminister Wilhelm Dietzel (CDU) jüngst zum Ortstermin mit Betroffenen in Pfungstadt, doch ein Ausweg aus dem Interessenkonflikt zwischen Natur- und Siedlungsschutz zeichnet sich bislang nicht ab. Das Ausmaß der Schäden werde zurzeit vom Landesamt für Umwelt und Geologie erfasst, sagt die Sprecherin des Umweltministeriums, Birgitt Wagner, und verweist ansonsten auf die Aufsichtsbehörde RP und die Kommunen vor Ort. Das Ministerium erteile schließlich keine Baugenehmigungen.

Hilfe vor Ort ja, aber keine Gegenmaßnahmen für das gesamte Ried - so lautet die Devise des RP, das den Grundwasserbewirtschaftungsplan nicht antasten will. Es könne nicht sein, dass wegen ein paar Häuslebauer ein ganzes Gebiet trockengelegt werde, sagt Hans Scheutzow vom Staatlichen Umweltamt Darmstadt. Ähnlich argumentiert der Bund für Umwelt und Naturschutz, der seit Jahren für die Rekultivierung von Feuchbiotopen im Ried kämpft. Auch für die Umweltschützer sind die nassen Keller die Folge einer verfehlten Siedlungspolitik: Natürliche Rahmenbedingungen seien im Ried über Jahrzehnte hinweg missachtet worden.

Wenn zwei sich streiten, könnte sich als Dritte im Bunde die Biebesheimer Aufbereitungsanlage für Rheinwasser freuen, die seit Januar "Urlaub" von der künstlichen Versickerung macht. Werksleiter Hans Iven hat seine 50 Mitarbeiter jedoch nicht vorzeitig in die Sommerferien geschickt, sondern nutzt die Zeit für überfällige oder geplante Reparaturen und Instandsetzungen. Dass die für viel Geld errichtete Anlage bald überflüssig wird, glaubt Iven nicht. Nach der Nassperiode werde erfahrungsgemäß auch wieder eine Trockenzeit kommen, sagt er.

Quelle (16.Juni 2001 Frankfurter Rundschau)

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